
Wenn es um Superlativen aus Bordeaux geht, wird einiges von uns erwartet. Doch so viele Vorschusslorbeeren und Komplimente, wie beim Jahrgang 2022 verteilt wurden, waren auch für uns eher ungewöhnlich. Noch bevor die erste Weinprobe während der PrimeurVerkostungen im April 2023 im Glas war, wurde bereits über das Weinwunder aus Bordeaux berichtet. Die Négociants wie auch die Weinproduzenten bejubelten den Jahrgang gleichermassen! Ist dies Taktik oder Marketing seitens Bordeaux, um die Preise zu maximieren, oder ist hier wirklich was dran? Auf alle Fälle sind wir vorsichtig, wenn im Vorfeld der Primeur-Verkostungen bereits solche Informationen auf den Markt dringen. Denn gerade in den letzten Jahren sind doch schon einige Jahrhundertjahrgänge angepriesen worden, was jeweils zu drastischen Preiserhöhungen geführt hat. So reisten wir mit gemischten Gefühlen nach Bordeaux, um uns selber ein Bild von der Qualität dieses Jahrgangs zu machen.
Die meteorologischen Bedingungen im Jahr 2022 liessen einen Jahrgang wie 2003 erwarten. 2022 war der wärmste Sommer in Bordeaux seit Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen. Mit Temperaturen von über 40 Grad wurde es extrem trocken. Abgesehen von punktuellen Hitzegewittern mit schwerem Hagel setzte sich das Sommerwetter bis in den Oktober weiter fort. Da die Nächte aber im Durchschnitt um einiges kühler als im Hitzejahr 2023 waren, konnte glücklicherweise die Frische in den Trauben zu einem grossen Teil konserviert werden. Die Reben mussten tief wurzeln, um an das notwendige Wasser zu gelangen. Dank dieser langen, trockenen und warmen Periode konnten die Winzer den exakt richtigen Zeitpunkt für die Ernte abwarten und hatten keinen Stress, die Trauben schnellstmöglich in den Keller zu bringen. Viele Reben haben diese extreme Trockenheit erstaunlich gut adaptiert. Geholfen hat sicherlich auch, dass die Winzer auf die Entlaubung im Frühherbst verzichtet haben, um die Reben vor der gleissenden Sonne zu schützen. Entscheidend waren aber die kühlen Nächte und die Böden, auf welchen die Reben stehen.
Schon nach wenigen Kostproben am ersten Tag in St. Emilion und Pomerol wurde uns bewusst, dass dieser Jahrgang nichts mit dem Jahrgang 2003 gemein hat. Obwohl die Hitze enorm war, zeigen sich die 2022er nicht so breit und extrahiert. Konzentration und Kraft sind zwar sehr präsent, aber viele Weine sind genial unterlegt mit einer hervorragenden, saftigen Säure. Dies bringt eine unglaubliche Frische, welche wir so nicht erwartet hätten. 2022 ist im Ganzen gesehen ein sehr heterogener Jahrgang und nicht alles ist grandios, denn das Terroir ist der Schlüssel zu tollem Wein. Weine, welche auf warmen Sandböden entstanden waren, sind weniger elegant. Aber Weine, welche auf kühlen Böden produziert wurden, zeigen in den meisten Fällen eine betörende Frische. Dies bedeutet, dass man ganz genau hinschauen musste, um letztendlich die richtigen Weine zu kaufen.
Auffallend war auch, wie zugänglich sich diese Weine bereits zeigen, und dies ist auch gut so, denn die wenigsten Weingeniesser legen sich noch kistenweise Bordeaux in den Keller, um diese dann in 10 bis 15 Jahren zu geniessen. Kaufen und trinken – dies ist beim Bordeaux 2022 sicherlich absolut möglich. Aber sollte man sich ihn auch leisten? Der Bordeaux 2022 ist teuer, denn gerade die Preise der Premiumweine sind teilweise sehr stark gestiegen. Trotzdem muss man sich nicht abschrecken lassen von dieser Tendenz, denn gerade in diesem Jahr lohnt es sich, kleinere, sprich günstigere Châteaus zu erwerben, welche ein ausgezeichnetes Preis-Leistungs-Verhältnis aufweisen. Mit diesen herausragenden Qualitäten zu kleinem Preis gönnt man sich wirklich einmalige Weinerlebnisse. Mich persönlich hat vor allem in der Preis-Leistung der Château Carlmagnus aus Fronsac angesprochen, aber auch La Mauriane aus Puisseguin St. Emilion, Cap St. Georges und Croix Mouton sind Schnäppchen zu kleinem Preis. Wenn der Preis eine kleinere Rolle spielt, sind Château Phélan Ségur, Troplong Mondot, aber auch Carmes Haut-Brion und Calon-Ségur bei mir auf dem Einkaufszettel.
Ist 2022 nun der beste je in Bordeaux produzierte Jahrgang, wie von den Produzenten und Händlern aus Bordeaux angekündigt? Das ist schwierig zu sagen, aber die Weine dieses Jahrgangs gehören mit Sicherheit zu den besten und spannendsten, die ich je in Bordeaux degustieren durfte. Während unserer 10-tägigen Verkostungstour haben wir über 400 Weine probiert, darunter wirklich grandiose, faszinierende Weine, die bereits schon in jungen Jahren viel Spass bereiten. Wer sich schon immer mal mit Bordeaux auseinandersetzen wollte, für den ist dies nun sicherlich der richtige Zeitpunkt. Überzeugen Sie sich selbst und nutzen Sie die Gelegenheit, die Weine in Ihrem TopCC zu verkosten.